4.8.2012
Moskau, Moskau, schmeiss die Glaeser an die Wand…
Koerperlich sind wir angekommen, aber geistig waren wir heute morgen leider noch nicht anwesend. Unseren Wecker hatten wir naemlich immernoch mit der deutschen Zeitzone gestellt und wachten so zwei Stunden spaeter als mit unseren Gastgebern verabredet auf.
Aber erstmal darf ich unsere Gastgeber vorstellen: das physikstudierte Ehepaar gehoert zur russischen Intelligenzia. Er, ein Lexikon auf zwei Beinen, Sie, mit der inneren Energie eines Wirbelwindes. Beide sind politisch aufgeklaert, haben eine konkrete Meinung und sind ueberaus gebildet. Fragen, die man schon immer stellen wollte, nehmen sie auf, verarbeiten und antworten: Sie sagt “Lass mich das so formulieren…”, er sagt “You see, that depends…”. Und mit einem Zwinkern erklaert er, dass “the harmful western ideas” ihn zu seiner Meinung gebracht haben, die er jetzt vertritt. Es ist aeusserst spannend zu hoeren, was eigentlich in Russland vorgeht, wovor “unser” Westen die Augen verschliesst und was wir alles verpassen. Doch das traue ich mich im Moment nicht in diesen Blog zu schreiben.
Ich kenne die beiden ueber meine Mutter, die auch Physik studiert hat. Aber wirklich kennengelernt habe ich die beiden, als sie mich vor einem Leben unter der Bruecke retteten. Damals war ich 14 Jahre alt und mit dem Orchester auf Russland-Tour. An der Passkontrolle verkuendete mir der Granzbeamte, dass ich nicht ausreisen darf, da eine Bestaetigung fehlt, in der meine Eltern (Anmerkung: beide wohnen in Europa) mir erlauben, Russland zu verlassen. Ich durfte dann in Moskau bleiben (ohne Ahnung, wie ich verbleiben sollte), waehrend meine Freunde und Musiker den Flug in die deutsche Heimat nahmen. Diese angteinfloessenden Tage verbrachte ich bei meinen Gastgebern, die fuer mich alles auf sich nahmen, um eine Moeglichkeit zu finden, mich wieder nach Deutschland zu bringen. Und der Rest ist Geschichte, der in einen Reiseblog nicht hineingehoert.
Was gehoert zu einem erfolgreichen Tag in Moskau? Auf keinen Fall das stundenlange Anstehen fuer ein Ticket in den Kreml. Deswegen aenderten wir unsere Plaene und machten einen Bogen um die 200m lange Schlange. Bis wir den Roten Platz (eigentlich nach dem altrussischen uebersetzt: “schoener Platz”) gefunden hatten, haben wir noch einen Brunnen mit russischen Maerchenfiguren, die Gedenkstaette fuer die Opfer des Zweiten Weltkrieges und unzaehlige Hochzeitsgemeinschaften auf der Jagd nach dem perfekten Foto gesehen.
Der Rote Platz wird umgebenvon: der roten Kremlwand (die einst weiss war), an der Lenins Mausoleum steht. Gegenueber steht das “GUM”, das Einkaufshaus fuer reiche Menschen. Dann begrenzt das historische Museum den Roten Platz Richtung Norden, und Richtung Fluss Moskwa steht die “St. Basil’s Cathedral”. In der Naehe der Kathedrale steht ausserdem ein rundes Gebilde, was einem grossen Brunnen aehnelt - der Ort der Hinrichtungen. Man kann es kaum glauben, aber die letzte Hinrichtung in Russland war 1996.
In der Kathedrale des Heiligen Wassilij, die von Iwan dem Schrecklichen erbaut wurde, hatten wir Glueck, denn es war ein klassischer russischer Maennerchor gerade da und hat bei wahnsinnig guter Akustik eine Kostprobe ihres Koennens gegeben. Sonst war es nett anzuschauen, aber faszinierender sind eher die Legenden um diese Kathedrale, die ausschaut, als ob sie aus Zuckerguss waere. Iwan der Schreckliche soll so fasziniert gewesen sein von seiner Kirche, dass er den beiden Architekten die Augen ausstechen liess, damit nicht etwas vergleichbar Schoenes gebaut werden koennte.
Nach der Kathedrale machten wir einen Spaziergang durch die nahen Strassen Moskaus und trafen auf ziemlich viele vergitterte Strassen. Die Zaeune umgaben, wie wir dann erfuhren, die Administration des russischen Praesidenten. Spaeter fragten wir unseren Gastgeber, was es damit auf sich hat. Er erklaerte uns, dass sich die Regierung so vom „einfachen“, also „normalen“ Volk nach und nach abgrenzt. Dieser Zaun steht naemlich erst seit Kurzem.
Nach dem Spaziergang, trafen wir uns mit unserem Gastgeber, der uns unbedingt die Universitaet zeigen wollte. Unsere Tour fing bei kleineren Gebaeuden aus der Sowjetzeit an, wie dem Kindertheater, dem Haus fuer Kinder und Jugendliche, was jetzt zur Volkshochschule umfunktioniert wurde sowie einer 30m hohen Plattform, die gebaut wurde, damit sich russische Soldaten, die fuer den Krieg in der Luft ausgebildet wurden, schon mal an die Hoehe gewoehnen konnten (diese wurde von Stalin angeordnet, aber erst nach seinem Tod erbaut, als schon der Kalte Krieg wuetete und Soldaten keinen Hoehenunterricht brauchten - denn ganz ehrlich, kommt ein Soldat ohne Hoehenangst gegen eine Atombombe an? Also steht die Plattform immernoch unbenutzt).
Als wir dann zum hoechsten und pompoesesten Gebaeude der ganzen Stadt kamen, konnte ich erst mal nicht glauben, dass dies die Universitaet ist. Ein stalinistischer Bau, komplett dazu da, um zu beeindrucken, machte mich kleiner, als ich mich neben allen Moskauer Gebaeuden zusammengenommen fuehlte. Die Sonne, die auf den hellen Stein traf, liess das absolut symmetrische Meisterwerk erstrahlen. Was mich aber wunderte, waren die Hammer, die Sicheln und die Sterne. Als ich danach fragte, erhielt ich folgende Antwort mit einem Zwinkern: „ Erstens ist es teuer, die Zeichen abzunehmen, zweitens weiss man ja nie, wofuer sie noch gut sein koennen.“
Uebringens darf man eine russische Universitaet nicht einfach so betreten, man wird aufgefordert, einen Besucherschein ausstellen zu lassen und dafuer braucht man erst eine Einladung. Woher man die bekommen soll, weiss ich selber nicht. Nur Studenten duerfen, aber nur ueber den Hinterausgang (!), die Universitaet betreten.
Vom Haupteingang aus kommt man in den Garten der bekanntesten russischen Wissenschaftler, deren Buesten zur Propaganda („Schaut her, unsere Leute sind die besten, die Westler haben von ihnen geklaut!“) nacheinander aufgestellt wurden. Zu den dreien, die wirklich was erreicht haben, zaehlen Mendeleev, Pavlov und ein Mathematiker, dessen Name zu kompliziert war, um ih zu behalten.
Von der Universitaet aus, die ich an dieser Stelle mit keiner Universitaet Deutschlands, vor allem nicht der, an der ich selbst studiere, vergleichen kann, kann man Moskau komplett ueberblicken. In der Mitte steht das alte Russland, mit seinen Zwiebeltuermen und dem Kreml. Links davon stehen die neu erbauten Banken und rechts anscheinend weniger interessante Gebaeude, da ich mich nicht erinnern und mein Freund auch nichts mehr Genaues sagen kann.
Nach dieser verblueffenden Tour durch die Studentenstadt machten wir uns auf eine Fuehrung durch die Moskauer Metro. Das ist sehr zu empfehlen, da die russische Metro nicht wie Deutschlands U-Bahn zum Transport dient, sondern sehr oft zur Propaganda. Man kann auch gerne ein Spiel daraus machen und schauen, wer mehr Sichel und Hammer zaehlt. Oder „wer findet die Lenin-Bueste?“. Die interessanteste Metrostation ist die unter den drei Bahnhoefen (Petersburger, Kasaner, Jeroslavler Bahnhof). Sie zeigt mit Deckengemaelden die Meilensteine der russischen Geschichte. Es verwundert nicht, dass die meisten Kunstwerke dem Sozialismus gewidmet sind.
Halb tot ging es dann heim. Dann, mit einem schoenen russischen Essen kann man ziemlich gut politische und wirtschaftliche Probleme diskutieren...
Koerperlich sind wir angekommen, aber geistig waren wir heute morgen leider noch nicht anwesend. Unseren Wecker hatten wir naemlich immernoch mit der deutschen Zeitzone gestellt und wachten so zwei Stunden spaeter als mit unseren Gastgebern verabredet auf.
Aber erstmal darf ich unsere Gastgeber vorstellen: das physikstudierte Ehepaar gehoert zur russischen Intelligenzia. Er, ein Lexikon auf zwei Beinen, Sie, mit der inneren Energie eines Wirbelwindes. Beide sind politisch aufgeklaert, haben eine konkrete Meinung und sind ueberaus gebildet. Fragen, die man schon immer stellen wollte, nehmen sie auf, verarbeiten und antworten: Sie sagt “Lass mich das so formulieren…”, er sagt “You see, that depends…”. Und mit einem Zwinkern erklaert er, dass “the harmful western ideas” ihn zu seiner Meinung gebracht haben, die er jetzt vertritt. Es ist aeusserst spannend zu hoeren, was eigentlich in Russland vorgeht, wovor “unser” Westen die Augen verschliesst und was wir alles verpassen. Doch das traue ich mich im Moment nicht in diesen Blog zu schreiben.
Ich kenne die beiden ueber meine Mutter, die auch Physik studiert hat. Aber wirklich kennengelernt habe ich die beiden, als sie mich vor einem Leben unter der Bruecke retteten. Damals war ich 14 Jahre alt und mit dem Orchester auf Russland-Tour. An der Passkontrolle verkuendete mir der Granzbeamte, dass ich nicht ausreisen darf, da eine Bestaetigung fehlt, in der meine Eltern (Anmerkung: beide wohnen in Europa) mir erlauben, Russland zu verlassen. Ich durfte dann in Moskau bleiben (ohne Ahnung, wie ich verbleiben sollte), waehrend meine Freunde und Musiker den Flug in die deutsche Heimat nahmen. Diese angteinfloessenden Tage verbrachte ich bei meinen Gastgebern, die fuer mich alles auf sich nahmen, um eine Moeglichkeit zu finden, mich wieder nach Deutschland zu bringen. Und der Rest ist Geschichte, der in einen Reiseblog nicht hineingehoert.
Was gehoert zu einem erfolgreichen Tag in Moskau? Auf keinen Fall das stundenlange Anstehen fuer ein Ticket in den Kreml. Deswegen aenderten wir unsere Plaene und machten einen Bogen um die 200m lange Schlange. Bis wir den Roten Platz (eigentlich nach dem altrussischen uebersetzt: “schoener Platz”) gefunden hatten, haben wir noch einen Brunnen mit russischen Maerchenfiguren, die Gedenkstaette fuer die Opfer des Zweiten Weltkrieges und unzaehlige Hochzeitsgemeinschaften auf der Jagd nach dem perfekten Foto gesehen.
Der Rote Platz wird umgebenvon: der roten Kremlwand (die einst weiss war), an der Lenins Mausoleum steht. Gegenueber steht das “GUM”, das Einkaufshaus fuer reiche Menschen. Dann begrenzt das historische Museum den Roten Platz Richtung Norden, und Richtung Fluss Moskwa steht die “St. Basil’s Cathedral”. In der Naehe der Kathedrale steht ausserdem ein rundes Gebilde, was einem grossen Brunnen aehnelt - der Ort der Hinrichtungen. Man kann es kaum glauben, aber die letzte Hinrichtung in Russland war 1996.
In der Kathedrale des Heiligen Wassilij, die von Iwan dem Schrecklichen erbaut wurde, hatten wir Glueck, denn es war ein klassischer russischer Maennerchor gerade da und hat bei wahnsinnig guter Akustik eine Kostprobe ihres Koennens gegeben. Sonst war es nett anzuschauen, aber faszinierender sind eher die Legenden um diese Kathedrale, die ausschaut, als ob sie aus Zuckerguss waere. Iwan der Schreckliche soll so fasziniert gewesen sein von seiner Kirche, dass er den beiden Architekten die Augen ausstechen liess, damit nicht etwas vergleichbar Schoenes gebaut werden koennte.
Nach der Kathedrale machten wir einen Spaziergang durch die nahen Strassen Moskaus und trafen auf ziemlich viele vergitterte Strassen. Die Zaeune umgaben, wie wir dann erfuhren, die Administration des russischen Praesidenten. Spaeter fragten wir unseren Gastgeber, was es damit auf sich hat. Er erklaerte uns, dass sich die Regierung so vom „einfachen“, also „normalen“ Volk nach und nach abgrenzt. Dieser Zaun steht naemlich erst seit Kurzem.
Nach dem Spaziergang, trafen wir uns mit unserem Gastgeber, der uns unbedingt die Universitaet zeigen wollte. Unsere Tour fing bei kleineren Gebaeuden aus der Sowjetzeit an, wie dem Kindertheater, dem Haus fuer Kinder und Jugendliche, was jetzt zur Volkshochschule umfunktioniert wurde sowie einer 30m hohen Plattform, die gebaut wurde, damit sich russische Soldaten, die fuer den Krieg in der Luft ausgebildet wurden, schon mal an die Hoehe gewoehnen konnten (diese wurde von Stalin angeordnet, aber erst nach seinem Tod erbaut, als schon der Kalte Krieg wuetete und Soldaten keinen Hoehenunterricht brauchten - denn ganz ehrlich, kommt ein Soldat ohne Hoehenangst gegen eine Atombombe an? Also steht die Plattform immernoch unbenutzt).
Als wir dann zum hoechsten und pompoesesten Gebaeude der ganzen Stadt kamen, konnte ich erst mal nicht glauben, dass dies die Universitaet ist. Ein stalinistischer Bau, komplett dazu da, um zu beeindrucken, machte mich kleiner, als ich mich neben allen Moskauer Gebaeuden zusammengenommen fuehlte. Die Sonne, die auf den hellen Stein traf, liess das absolut symmetrische Meisterwerk erstrahlen. Was mich aber wunderte, waren die Hammer, die Sicheln und die Sterne. Als ich danach fragte, erhielt ich folgende Antwort mit einem Zwinkern: „ Erstens ist es teuer, die Zeichen abzunehmen, zweitens weiss man ja nie, wofuer sie noch gut sein koennen.“
Uebringens darf man eine russische Universitaet nicht einfach so betreten, man wird aufgefordert, einen Besucherschein ausstellen zu lassen und dafuer braucht man erst eine Einladung. Woher man die bekommen soll, weiss ich selber nicht. Nur Studenten duerfen, aber nur ueber den Hinterausgang (!), die Universitaet betreten.
Vom Haupteingang aus kommt man in den Garten der bekanntesten russischen Wissenschaftler, deren Buesten zur Propaganda („Schaut her, unsere Leute sind die besten, die Westler haben von ihnen geklaut!“) nacheinander aufgestellt wurden. Zu den dreien, die wirklich was erreicht haben, zaehlen Mendeleev, Pavlov und ein Mathematiker, dessen Name zu kompliziert war, um ih zu behalten.
Von der Universitaet aus, die ich an dieser Stelle mit keiner Universitaet Deutschlands, vor allem nicht der, an der ich selbst studiere, vergleichen kann, kann man Moskau komplett ueberblicken. In der Mitte steht das alte Russland, mit seinen Zwiebeltuermen und dem Kreml. Links davon stehen die neu erbauten Banken und rechts anscheinend weniger interessante Gebaeude, da ich mich nicht erinnern und mein Freund auch nichts mehr Genaues sagen kann.
Nach dieser verblueffenden Tour durch die Studentenstadt machten wir uns auf eine Fuehrung durch die Moskauer Metro. Das ist sehr zu empfehlen, da die russische Metro nicht wie Deutschlands U-Bahn zum Transport dient, sondern sehr oft zur Propaganda. Man kann auch gerne ein Spiel daraus machen und schauen, wer mehr Sichel und Hammer zaehlt. Oder „wer findet die Lenin-Bueste?“. Die interessanteste Metrostation ist die unter den drei Bahnhoefen (Petersburger, Kasaner, Jeroslavler Bahnhof). Sie zeigt mit Deckengemaelden die Meilensteine der russischen Geschichte. Es verwundert nicht, dass die meisten Kunstwerke dem Sozialismus gewidmet sind.
Halb tot ging es dann heim. Dann, mit einem schoenen russischen Essen kann man ziemlich gut politische und wirtschaftliche Probleme diskutieren...
Mimi_Lund - 6. Aug, 00:24