Dienstag, 14. August 2012

12.8.2012

Gleich am Morgen frueh aufgewacht (unser Schlafpensum haben wir ja schon am Vortag abgearbeitet) haben wir diesmal klug gepackt und fuer die kommenden 58 Stunden eingekauft. Danach ging es gleich zum Bahnhof, wo unser Zug schon auf uns wartete. Unser Schaffner, ein langer duenner Mann mit weit auseinanderstehenden Zaehnen, grinste, als er uns als Auslaender enttarnte. "Ich hatte auch schon mal welche ganz ohne Dolmetscher (er zeigte auf mich), mit denen hab ich dann mein eingerostetes Englisch wieder ausgepackt!" Was er als 'eingerostet' bezeichnet, wuerde ich eher 'komplett vernichtet' nennen. "Foot down", sagte er, als er unsere Fuesse oben sehen wollte, und "Foot up", als wir sie wieder ablegen durften. Von wegen "Saenk ju vor traevelling mit russisch Bahn".
Aber fuer seine charmanten Versuche und seinen Spass an der Sache kriegt er nicht nur von mir 10 Punkte.

Diesmal weniger Glueck mit der Bettverteilung, fanden wir unsere Betten nicht einmal direkt nebeneinander laengs am Gang. Doch dafuer war der Zug nicht so voll und wir kuschelten uns ein eine Ecke mit einem Tisch, wo wir redeten, lasen, schliefen und wieder redeten. Ich versuchte, meinen beiden Mitreisenden das russische Kartenspiel "Durak" (Vollidiot) beizubringen und schon bald traute ich ihnen zu, gegen meine manipulativen und moglerischen Spieltechniken anzukommen. Sie murrten, aber mindestens ich alleine hatte meinen Spass.
Ausserdem liessen wir keine Gelegenheit aus, darueber zu sinnieren, wie schoen es doch ist, mit der Bahn zu reisen. Zugegeben - das klo ist ekelig. Gut - es gibt eine nicht funktionierende Klimaanlage. Was soll's - die Luft steht. Ach was - sogar die Russen selbst schimpfen den wirklich alten Waggon, der dreckig ist.
Doch wir mit unserer abenteuerlustigen Naivitaet sahen das gar nicht. Mein Gott, dann muss man auf dem Klo den Rock zwischen die Beine klemmen, damit er an nichts Stinkendes anstoesst. Nicht schlimm, der Zugfuehrer wischt doch jeden Tag ein Mal durch. Alles Negative wird mit einer Handbewegung fortgewischt und was bleibt, ist ein Laecheln im Gesicht.
Dann haben wir im naechsten Zug mehr Glueck!

Es ist ziemlich bequem im Zug, muss man sagen, wenn man davon absieht, dass die Betten kaum breiter als 55 cm sind. Jeder ist in Schlaflaune (wir vermuten, dass die russische Bahn CO2 in die Waggons fuellt, um die Passagiere ein bisschen in Narkose zu versetzen), jeder ist entspannt und so wird man selber entspannt. An den groesseren Stationen kann man raus (da haelt der Zug mindestens eine halbe Stunde) und sich die Beine vertreten, vielleicht etwas kaufen, was einen aus den Essensstaenden anlacht. Man kann aber auch schnell in die Bahnhofshalle duesen und sich wenigstens die Vorhalle einer neuen Stadt anschauen. Am Wangenende steht ein grosser Samowar, aus dem man heisses Wasser kostenlos schoepfen kann und den Tag mit einem schoenen Tee im Bett verbringen kann. Wer hat sich nicht schon mal gewuenscht, mal wirklich nichts zu machen, und war dann zu inkonsequent, da irgendeine Aufgabe trotzdem gerufen hat? Der soll doch bitte in einen russischen Zug steigen und bis ans andere Ende des Landes reisen. Keine Sorge - die Zeit vergeht schneller als man denkt!

Direkt gegen Abend machten wir dann unsere erste Bekanntschaft. Die wunderschoene Burjatin - wer kennt schon Burjatien, die kleine russische Republik am Baikal? - mit ihren langen schwarzen Haaren und den gruenen Augen erzaehlte uns von ihrem Heimatland und ihren Braeuchen. Wer haette gewusst, dass dieser kleine Ort mit der Hauptstadt Ulan-Ude komplett buddhistisch ist? Sie erzaehlte uns, wie die religioesen Oberhaeupter, die Lamas, Hochzeiten planten und mal ein Brautherz enttaeuschen konnten, wenn sie das naechste Jahr als heiratsungeeignet befanden.

Mit meinem Plan, die russische Bevoelkerung auf die Politik abzuklopfen, ging ich relativ direkt von Heiraten auf Putin ueber. Dieser rasche Themenwechsel hat sie - glaube ich - verunsichert. "Wir lieben alle Putin und ganz Russland ist auf seiner Seite" versicherte sie mir und ballte ihre Faust. Und auf meine Frage zu Pussy Riot antwortete sie mir: "Wissen Sie, wir leben hier in eienr Demokratie und die Regierung ist sehr transparent. Sie hat naemlich uns erklaert, dass Amerika die drei Maedchen angestiftet hat. Amerika will naemlich unsere Ordnung hier stuerzen.", fluesterte sie mir noch schnell zu und ging dann ihre Tochter ins Bett bringen.

Gedankenverloren machte ich mir mein Schlaflager zurecht und las bis das Licht vom Waggonfuehrer ausgeschaltet wurde.

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