Montag, 17. September 2012

Die chinesische Mauer

Trotz zwei ruhigen Tagen in Peking, die sehr viel mit Ausschlafen und kulinarischen Ausflügen in die Hutongs der Stadt zu tun hatten, wachte ich mit einem seltsamen Knurren im Bauch auf. Im Hotelrestaurant - es war chinesischer und besser, als wir erwarteten - versuchte ich meinen Magen mit einem Gemisch aus Bambussprossen und eingelegten Kartoffeln mit Chili zu beruhigen und gleichzeitig meinen Vorrat an Kalorien aufzufüllen, denn unser Tagesausflug ging heute zur Mauer.

Ja, die heißersehnte Mauer - wirklich etwas darunter vorstellen konnte ich mir nicht. Klar - man hatte sie schon mal gesehen, aber wo sie steht, ob sie in Peking beginnt oder in einer anderen Stadt, oder gar im Wald, das wusste ich leider zu meinem Bedauern nicht. Doch Gottseidank gibt es Reiseführer, die einem die Wegbeschreibung eher schlecht als recht beschreiben, und wir machten uns auf zu einem Abschnitt der Mauer, der laut lonely planet "Trittsicherheit und festes Schuhwerk" benötigt. Meine Schuhe, die mir schon Sorgen und schmerzende Füße bereitet hatten, habe ich im Hotel entsorgt und mir neues, himmlisch weiches Schuhwerk für 7 € besorgt, das leider gemäß seiner Herkunft ("made in china") auch bald in die Knie gingen.

Die Fahrt dorthin war ein Abenteuer an sich. Wir brauchten länger als zwei Stunden in Bussen, Linientaxis und Metros, die meiste Zeit aber ging dafür drauf, dass wir die unbezeichneten Bushaltestellen suchten, nervige Taxifahrer abwimmelten ("Es fährt kein Bus, es gibt auch überhaupt keinen Bus! Fahrt mit mir!") und uns durchfragten.

Im ersten Bus, der im 50 Sekundentakt vom Bahnhof fuhr, sclhlief ich schnell ein, denn die Aussicht aus dem Fenster war bedrückend - Beton, Hochhäuser und noch mehr Beton. Ich fuhr schweißnass aus meinem Schlaf hoch, als mein Freund mich zum Aussteigen zog.

In dem Linientaxi, dessen Haltestelle wir 30 Minuten suchten, gabs dafür umso mehr zu sehen. Zum einen wurden wir von dem kleinen chinesischen Mädchen uns gegenüber ausführlich beglotzt, zum anderen breitete sich eine Aussicht aus unserem Fenster aus, die man sich genau erwartet, wenn man nach China reist.Säuberlich gepflanzte graue kleine Bäume, Maisfelder und kleine Siedlungen mit ihrem Staub und ihren chinesischen durchgedrückten Dächern rasten an uns vorbei. Am Straßenrand saßen ältere Frauen, die offensichtlich ein paar Früchte aus ihrem Garten verkaufen wollten. Die Berge stemmten sich auf und von Weitem erkannte man eine dünne geschlängelte Linie zwischen all dem Grün, das den Berg bewuchs. "Schau, das ist schon die chinesische Mauer", flüsterte mir mein Freund zu und ich kniff meine Augen zusammen, um festzustellen, wie weit sie verläuft. Bergauf und bergrunter, mal zerfallener, mal restaurierter, und kein Ende und keine einzige Menschenseele zu erkennen. "Von hier kann man auch 4 Tage lang bis zur nächsten Stadt auf der Mauer wandern", erklärte mir mein Freund und ich staunte gut. So steil wie es schon von hier unten aussah, würde ich den ersten Tag schon zusammenbrechen.

Wir stiegen aus, passierten das Schild, das uns ausdrücklich informierte, dass keine Touristen auf dieses verfallene Stück der Mauer dürfen und zahlten 3 Yuan (sprich Yü[e]n) (30 Cent), um die selbstgebastelte Eintrittskarte zu kassieren. Über eine kleine Brücke auf dem Staudamm ging es dann ein Stück auf dem steinigen, staubigen Weg, vorbei an einer Metalltreppe, die anscheinend schon vor längerer Zeit runtergefallen und nun vom Sand bedeckt war. Den ganzen Weg entlang hörten wir eine Gruppe, die auf deutsch unter der Sonne und Anstrengung ächzte. Der Weg brachte uns zu einer verrosteten Mettalleiter, die zwar am Wachturm befestigt war, trotzdem aber keinen sicheren Eindruck machte. Vorsichtig kraxelten wir hoch und machten Bekanntschaft mit den zwei deutschen Reisegruppen. Die einen, Mittzwanziger, die schon zum fünften Mal in China sind und stets nur nach Chengdu fahren, die anderen, ein endzwanziges Pärchen, das in Shorts und oben ohne, in ihrem professionell ausgestatteten Schuhwerk drauflos marschierte und uns alle abhängte.

Die Mauer, ungefähr sechs Meter breit und an diesem Abschnitt gut restauriert stieg sehr steil an und schon bald klebte der Schweiß an allen Körperstellen. Oft setzten wir uns auf das "Geländer" der Mauer und ruhten uns kurz aus, während wir die AUssicht auf das keine Tal mit dem Stausee unter uns und den blauen Himmel über uns genossen.

Doch bald fing es an. Mein Bauch rumorte, jeder Schluck Wasser, den ich runterbeförderte, blieb mir im Hals stecken und der Schwindel überkam mich. Meine kaltschweißige Stirn und mein blasses Gesicht verscuhte ich zuerst mit schnellem Schritt wegzutherapieren, doch bald schickte ich meinen Freund vor und beließ mich bei einer einsamen Wanderung, wo ich das Tempo selbst vorgeben konnte. Niemand war da, der mich überholen, fragen, warum ich so langsam bin, oder mich mit seinen Reiseerfahrungen nerven konnte. Die Mauer war leer (Bis auf die zehn Deutschen, die alle dem Ruf des lonely planets gefolgt sind). Außer dem gelegentlichen Dynamit, womit die Fischer unten Seebewohner zu Tode erschreckten, hörte man nichts.

Mein Freund, einen halben Kilometer vor mir, hinterließ mit Kreide neben Sprüchen wie "Niko war hier", "Tod der kommunistischen Partei" und "nieder mit dem japanischen Teufel" kleine Aufmunterungen und Pfeile, die zu einem Maoam-Stückchen oder Wasserflaschen, die er mir überließ, führten. Doch irgendwann, bei einem Wachturm, ab dem die Mauer begann, zu verfallen und viel zu steil anzusteigen, pausierte ich und schaute meinem abenteuerlustigen Freund zu, der mit seiner Trittsicherheit die Spitze des Berges erklomm und dann über die bröckeligen Überreste der Mauer tänzelnd, versuchte, nicht zu stolpern.

Genau in diesem Moment fing es an. Ich hatte nicht damit gerechnet, aber als ich von einem Fenster aus mein nicht mal annähernd verdautes Frühstück am Fuße des Aussichtsturms betrachtete, war es offiziell: Ich habe von der chinesischen Mauer erbrochen. Leider war das nicht das Ende von meinen Qualen, aber ich versuche, es an dieser Stelle kurz zu halten. Während mein Freund sich seinen Weg über einen Abkürzung durch den Wald laut singend - damit wollte er mögliche Bären abschrecken - bahnte, hing ich aus einigen weiteren Fenstern. Auf unserem Rückweg legte ich mich alle fünf Meter auf die heißen Steine der Mauer, um meinen geschundenen Körper auszuruhen und hätte ein Königreich dafür gegeben, im Hotel unter der Klimaanlage zu liegen.

Irgendwie war es klar, dass sobald meine Füße wieder auf Ende standen und ein Klo in der Nähe war, alle meine Beschwerden weg waren. Mein leerer Magen ließ wieder Wasser hinein ohne sich zu beschweren. An einem kleinen Tischchen neben der vermuteten Busstation warteten wir mit einem französischen Pärchen, das über Mittelasien nach China gekommen ist - über Tadschikistan, Usbekistan, usw. eine Reise, die genau 100 Tage dauerte. Mit denen unterhielten wir uns über Reisen, Akupunktur, alternative Medizin und darüber, dass der Bus uns eigentlich schon vor anderthalb Stunden abgeholt hätte müssen.

Stolz darauf, dass er das chinesische Wort für "erbrechen" kannte, holte mein Freund mir drei Spucktüten von verständnisvollen Restaurantmitarbeitern für die Busfahrt - was nicht mehr nötig war. Endlich kam der Bus und nahm uns wieder zurück nach Peking, das uns mit seinen im Dunkeln scheinenden Hochhäusern und Autobahnen begrüßte.

Der Tag, trotz meines Handicaps, endete für mich mit einem Gedanken, der mich grinsen ließ.
Wer sonst hat es schon geschafft, von der Chinesischen Mauer zu kotzen?

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