24.08.2012
Die letzte Nacht im Zug
Als der Wecker uns am nächsten Morgen früh aus den Betten schmiss, waren unsere Hosteleltern noch im Bett. Wir schoben unser Frühstück schnell in den Mund und vergaßen, einen Dankeschönzettel (für den in allen Sinnen warmen Aufenthalt) zu hinterlassen. Die Kleidung, die wir noch vor dem Ausflug in die Steppe im Waschbecken mit Lillys Handwaschmittel mixten und so schonend wie möglich ausgewringten, waren zu unserem Erleichtern trocken und wir stopften sie als letzte wohlriechende Anziehsachen in unsere Rucksäcke.
Woran man sich wirklich nicht gewöhnt bei einer Fahrt wie dieser, ist das ständige Leben aus Tüten. Nirgendwo kann man auspacken, Kleider nebeneinanderlegen und überlegen, welche Kombination man heute mal ausprobiert - am Anfang nimmt man sich die Zeit dafür vielleicht, doch in diesem Abschnitt der Reise wird nur noch an den Kleidungsstücken gerochen, und entweder das Ergebnis ist naserümpfend oder - "basst scho!".
Das sich wiederholende Zusammenpacken kann nie perfekt sein, da man immer plötzlich das braucht, was gerade heute ganz tief im Rucksack sitzt.
Und der Schweiß, der Dreck und die Flecken, die sich auf und in den Kleidern sammeln, lassen den Rucksack schwerer und schwerer machen...
Um halb sieben pünktlich betraten wir unser Abteil und betrachteten das Schauspiel, das sich uns bot. Ein klappriger kleiner Ventilator hing mit seinen letzten Kräften über dem Fenster, deren Rahmen schwarz vor Staub war. Über die Betten, mit einem kitschigen, blauen Überzug mit Schleifchen dekoriert, bezogen wir sofort mit Bettwäsche, da wir sie ungern mit baren Händen anfassen wollten. Auf dem Boden lag ein schmutziger kleiner Teppich. Alles schien nach unserem Luxus im vorhergehenden Zug unsteril und gar ansteckend zu sein, doch wenn wir uns in die Betten legten, die Augen schlossen, dem rhythmischen Rattern des Zuges lauschten und vom Schwanken eingelullt wurden, fühlten wir uns wieder heimelig und wohl.
Leider waren wir in unserem Viererabteil nicht alleine, ein in alle Richtungen großer Schwede von den nördlichen Breiten begleitete uns, schweigsam wie ein Finne, dafür aber konnte er beim Schlafen sehr laut auf sich aufmerksam machen. Er schnarchte nicht, nein, er sägte den Tag über und in der Nacht, sobald seine Augen zufielen, im Sitzen, auf dem Rücken, auf der Seite - egal, das laute Grunzen und Gurgeln drang durch unsere Oropax und vermischte sich mit unseren Träumen.
Abgesehen von seinem Schnarchen war er aber ein sehr freundlicher und interessanter Mensch, Fotograf, der um die Welt reist, um seinen Beruf mit Spaß und Freude zu verbinden.
An unserem Fenster flog die Wüste Gobi vorbei, die wir schon gespannt erwartet hatten. Der Sommer war dieses Jahr gnädig und der Regen hatte Pflanzen hinterlassen, sodass auf den felsigen Sandweiten kleine Büsche wuchsen. Die Büsche lockten Tiere an, die Tiere hingegen Menschen und so sahen wir ab und zu Pferdeherden, die sich zusammen tummelten und mit Kopfnicken versuchten, die Fliegen zu verscheuchen, einige Kamele, die wiegend auf dem Weg zu Wasserstellen trödelten, und hier und da eine Jurte, weit ab von jeglicher Zivilisation. Die Straße, die fast parallel zu unserem Zug verlief, war spärlich befahren, nur manchmal erblickten wir mal einen Laster, der einsam am Horizont entlang fuhr.
Unser Fenster war leicht geöffnet, als plötzlich der chinesische Zugbegleiter hereinstürzte und mit den Armen fuchtelte, wir sollen es schließen. Ein Sandsturm wirbelte auf und schlug mit seinen Bestandteilen gegen den Zug, und als das Fenster dann zu war, spürten viele das Knirschen auf den Zähnen.
Als es schon anfing zu dämmern, hielt der Zug und wir kamen an unserer letzten Grenze an. Die mongolische Passkontrolle kam und ging, und wir waren nicht im Mindesten aufgeregt. Wenn am russisch-mongolischen Grenzübergang noch eine gewissen Spannung in der Luft hing, was uns dazu bewegte, aufrecht und still in unserem Abteil zu sitzen, mit unseren Pässen in der Hand, so wurden wir nun von den Grenzbeamten in unmöglichem Benehmen, unsäglichen Sitzpositionen und lautem Gesang angetroffen.
Wann wir mit dem Singen angefangen haben, weiß ich nicht, ob es vor dem Wodka oder danach war, vor der strengen chinesischen Passkontrolle oder danach, kann ich nicht rekonstruieren. Aber der Wodka, den wir schon seit Russland mitschleppten, musste weg, auch wenn wir keine Russen hatten, die wir mithilfe unseres Schnapses zu Freunden machen konnten. Ich hatte Angst, es könnte verboten sein, Wodka im Zug zu trinken (in den russischen Zügen stand es als Verbot Nummer 1 in den allgemeinen Informationen) und so musste das Feuerwasser schnell weg.
Wir spielten ein Spiel: jeder muss ein Lied singen, was bald außer Kontrolle lief. Es gipfelte in einem Duett "Das Weihnachtsoratorium", wobei mein Freund auch wirklich die Noten aus dem Chor kannte, und später gab ich ein Solo "Die Zauberflöte" zum Besten, in voller Lautstärke und mit verschiedenen Stimmen und Charakteren. Lilly, die sich weigerte zu singen, aber versuchte, die chinesische Hymne zu rekonstruieren, saß uns gegenüber und starrte - dass so wenig Wodka so viel anrichten könnte?, fragte sie sich wahrscheinlich.
Im lonely planet, unserem Reiseführer, gab es einen Abschnitt: Wartungshalle. Es wurde empfohlen, aus dem Zug auszusteigen, mit Kopflampen an den Gleisen entlang zu gehen, um dann die Anhebung des Zuges und das Wechseln des Fahrgestells beobachten zu können. Darauf freuten wir uns schon seit wir den Zug betreten hatten, doch hatten wir nciht damit gerechnet, dass seit dieser Textabschnitt im lonely planet existierte, so viele Touristen diesem Geheimtipp folgten, dass das Aussteigen aus dem Zug nun verboten wurde. Deswegen mussten wir den Fahrgestellwechsel aus dem Zug heraus beobachten, was unserer angeheiterten Laune kein Bisschen schlechttat, denn das Singen ging dann am Fenster weiter, während wir argwöhnisch von unseren Mitreisenden beobachtet wurden. Wie die anderen Touristen hängten auch wir unsere Köpfe aus den Fenstern, um penibel genau die Tätigkeit der Arbeiter zu beobachten, die überwachten, wie der Zug von gelb-schwarz (CDU-FDP Koalition) gestreiften Metallstäben ganz langsam hochgehoben wurde.
Wir sangen EAV (erste allgemeine Verunsicherung) und wurden gleich von einer schwiizer Familie angesprochen, deren Tochter daran Gefallen fand, mir alles über ihre Kuscheltiere zu erzählen.
Ich hörte erst gespannt, dann genötigt und dann gähnend zu. Oft erwähnte ich, dass ich jetzt ins Bett gehen will, doch das Mädchen, benannt nach einem Schmuckstein, nahm das zum Anlass, über ihr Zahnputzverhalten und ihre Reise nach Panama, die sie kaum in Erinnerung hatte, zu referieren. Endlich vom Kind geflohen und wieder zu meinen halberwachsenen Freunden gesetzt, waren wir auch schon bald mit dem Fahrgestellwechsel fertig und fuhren in unsere erste chinesische Stadt ein.
Die Luft war angenehm kühl und entspannend, nach einer Reise, die vom klapprigen Ventilator begleitet wurde. Im Bahnhof lief die Masse an Reisenden sofort zum Bahnhofsladen, um den ersten Einkauf in China zu lächerlichen Preisen zu machen. Wir kauften uns Wasser (Tee konnten wir schon gar nicht mehr sehen) und frische Früchte, die als wir uns an einen stillgelegten Brunnen setzten, nach einem Hauch von Nichts mit künstlichem Beigeschmack schmeckten.
Wir setzten uns in das von Schnarchen gefüllte Abteil und der Zug setzte sich in Bewegung - zu unserem letzten Ziel: China.
Als der Wecker uns am nächsten Morgen früh aus den Betten schmiss, waren unsere Hosteleltern noch im Bett. Wir schoben unser Frühstück schnell in den Mund und vergaßen, einen Dankeschönzettel (für den in allen Sinnen warmen Aufenthalt) zu hinterlassen. Die Kleidung, die wir noch vor dem Ausflug in die Steppe im Waschbecken mit Lillys Handwaschmittel mixten und so schonend wie möglich ausgewringten, waren zu unserem Erleichtern trocken und wir stopften sie als letzte wohlriechende Anziehsachen in unsere Rucksäcke.
Woran man sich wirklich nicht gewöhnt bei einer Fahrt wie dieser, ist das ständige Leben aus Tüten. Nirgendwo kann man auspacken, Kleider nebeneinanderlegen und überlegen, welche Kombination man heute mal ausprobiert - am Anfang nimmt man sich die Zeit dafür vielleicht, doch in diesem Abschnitt der Reise wird nur noch an den Kleidungsstücken gerochen, und entweder das Ergebnis ist naserümpfend oder - "basst scho!".
Das sich wiederholende Zusammenpacken kann nie perfekt sein, da man immer plötzlich das braucht, was gerade heute ganz tief im Rucksack sitzt.
Und der Schweiß, der Dreck und die Flecken, die sich auf und in den Kleidern sammeln, lassen den Rucksack schwerer und schwerer machen...
Um halb sieben pünktlich betraten wir unser Abteil und betrachteten das Schauspiel, das sich uns bot. Ein klappriger kleiner Ventilator hing mit seinen letzten Kräften über dem Fenster, deren Rahmen schwarz vor Staub war. Über die Betten, mit einem kitschigen, blauen Überzug mit Schleifchen dekoriert, bezogen wir sofort mit Bettwäsche, da wir sie ungern mit baren Händen anfassen wollten. Auf dem Boden lag ein schmutziger kleiner Teppich. Alles schien nach unserem Luxus im vorhergehenden Zug unsteril und gar ansteckend zu sein, doch wenn wir uns in die Betten legten, die Augen schlossen, dem rhythmischen Rattern des Zuges lauschten und vom Schwanken eingelullt wurden, fühlten wir uns wieder heimelig und wohl.
Leider waren wir in unserem Viererabteil nicht alleine, ein in alle Richtungen großer Schwede von den nördlichen Breiten begleitete uns, schweigsam wie ein Finne, dafür aber konnte er beim Schlafen sehr laut auf sich aufmerksam machen. Er schnarchte nicht, nein, er sägte den Tag über und in der Nacht, sobald seine Augen zufielen, im Sitzen, auf dem Rücken, auf der Seite - egal, das laute Grunzen und Gurgeln drang durch unsere Oropax und vermischte sich mit unseren Träumen.
Abgesehen von seinem Schnarchen war er aber ein sehr freundlicher und interessanter Mensch, Fotograf, der um die Welt reist, um seinen Beruf mit Spaß und Freude zu verbinden.
An unserem Fenster flog die Wüste Gobi vorbei, die wir schon gespannt erwartet hatten. Der Sommer war dieses Jahr gnädig und der Regen hatte Pflanzen hinterlassen, sodass auf den felsigen Sandweiten kleine Büsche wuchsen. Die Büsche lockten Tiere an, die Tiere hingegen Menschen und so sahen wir ab und zu Pferdeherden, die sich zusammen tummelten und mit Kopfnicken versuchten, die Fliegen zu verscheuchen, einige Kamele, die wiegend auf dem Weg zu Wasserstellen trödelten, und hier und da eine Jurte, weit ab von jeglicher Zivilisation. Die Straße, die fast parallel zu unserem Zug verlief, war spärlich befahren, nur manchmal erblickten wir mal einen Laster, der einsam am Horizont entlang fuhr.
Unser Fenster war leicht geöffnet, als plötzlich der chinesische Zugbegleiter hereinstürzte und mit den Armen fuchtelte, wir sollen es schließen. Ein Sandsturm wirbelte auf und schlug mit seinen Bestandteilen gegen den Zug, und als das Fenster dann zu war, spürten viele das Knirschen auf den Zähnen.
Als es schon anfing zu dämmern, hielt der Zug und wir kamen an unserer letzten Grenze an. Die mongolische Passkontrolle kam und ging, und wir waren nicht im Mindesten aufgeregt. Wenn am russisch-mongolischen Grenzübergang noch eine gewissen Spannung in der Luft hing, was uns dazu bewegte, aufrecht und still in unserem Abteil zu sitzen, mit unseren Pässen in der Hand, so wurden wir nun von den Grenzbeamten in unmöglichem Benehmen, unsäglichen Sitzpositionen und lautem Gesang angetroffen.
Wann wir mit dem Singen angefangen haben, weiß ich nicht, ob es vor dem Wodka oder danach war, vor der strengen chinesischen Passkontrolle oder danach, kann ich nicht rekonstruieren. Aber der Wodka, den wir schon seit Russland mitschleppten, musste weg, auch wenn wir keine Russen hatten, die wir mithilfe unseres Schnapses zu Freunden machen konnten. Ich hatte Angst, es könnte verboten sein, Wodka im Zug zu trinken (in den russischen Zügen stand es als Verbot Nummer 1 in den allgemeinen Informationen) und so musste das Feuerwasser schnell weg.
Wir spielten ein Spiel: jeder muss ein Lied singen, was bald außer Kontrolle lief. Es gipfelte in einem Duett "Das Weihnachtsoratorium", wobei mein Freund auch wirklich die Noten aus dem Chor kannte, und später gab ich ein Solo "Die Zauberflöte" zum Besten, in voller Lautstärke und mit verschiedenen Stimmen und Charakteren. Lilly, die sich weigerte zu singen, aber versuchte, die chinesische Hymne zu rekonstruieren, saß uns gegenüber und starrte - dass so wenig Wodka so viel anrichten könnte?, fragte sie sich wahrscheinlich.
Im lonely planet, unserem Reiseführer, gab es einen Abschnitt: Wartungshalle. Es wurde empfohlen, aus dem Zug auszusteigen, mit Kopflampen an den Gleisen entlang zu gehen, um dann die Anhebung des Zuges und das Wechseln des Fahrgestells beobachten zu können. Darauf freuten wir uns schon seit wir den Zug betreten hatten, doch hatten wir nciht damit gerechnet, dass seit dieser Textabschnitt im lonely planet existierte, so viele Touristen diesem Geheimtipp folgten, dass das Aussteigen aus dem Zug nun verboten wurde. Deswegen mussten wir den Fahrgestellwechsel aus dem Zug heraus beobachten, was unserer angeheiterten Laune kein Bisschen schlechttat, denn das Singen ging dann am Fenster weiter, während wir argwöhnisch von unseren Mitreisenden beobachtet wurden. Wie die anderen Touristen hängten auch wir unsere Köpfe aus den Fenstern, um penibel genau die Tätigkeit der Arbeiter zu beobachten, die überwachten, wie der Zug von gelb-schwarz (CDU-FDP Koalition) gestreiften Metallstäben ganz langsam hochgehoben wurde.
Wir sangen EAV (erste allgemeine Verunsicherung) und wurden gleich von einer schwiizer Familie angesprochen, deren Tochter daran Gefallen fand, mir alles über ihre Kuscheltiere zu erzählen.
Ich hörte erst gespannt, dann genötigt und dann gähnend zu. Oft erwähnte ich, dass ich jetzt ins Bett gehen will, doch das Mädchen, benannt nach einem Schmuckstein, nahm das zum Anlass, über ihr Zahnputzverhalten und ihre Reise nach Panama, die sie kaum in Erinnerung hatte, zu referieren. Endlich vom Kind geflohen und wieder zu meinen halberwachsenen Freunden gesetzt, waren wir auch schon bald mit dem Fahrgestellwechsel fertig und fuhren in unsere erste chinesische Stadt ein.
Die Luft war angenehm kühl und entspannend, nach einer Reise, die vom klapprigen Ventilator begleitet wurde. Im Bahnhof lief die Masse an Reisenden sofort zum Bahnhofsladen, um den ersten Einkauf in China zu lächerlichen Preisen zu machen. Wir kauften uns Wasser (Tee konnten wir schon gar nicht mehr sehen) und frische Früchte, die als wir uns an einen stillgelegten Brunnen setzten, nach einem Hauch von Nichts mit künstlichem Beigeschmack schmeckten.
Wir setzten uns in das von Schnarchen gefüllte Abteil und der Zug setzte sich in Bewegung - zu unserem letzten Ziel: China.
Mimi_Lund - 9. Sep, 20:29